Syngo Virtual Cockpit am Kantonsspital Baden: MRI aus der Ferne steuern – ist jetzt Homeoffice auf den Malediven möglich?

Michèle Bosshard und Yannick Bislin

Radiologiefachpersonen am Kantonsspital Baden (KSB) steuern MRI-Scanner heute standortübergreifend. Welche Auswirkungen hat dies auf Patient:innen, Teams und Arbeitsmodelle? Seit 2023 zeigt das Projekt am KSB, dass innovative Technologien nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch neue Perspektiven für die Arbeitswelt und das Gesundheitswesen eröffnen.

Als am KSB die Einführung einer neuartigen Technologie angekündigt wurde, war das Interesse gross – und die Skepsis ebenso. Künftig sollen MRI-Scanner per Fernzugriff bedient werden können: Das sogenannte syngo Virtual Cockpit (sVC) macht es möglich. Doch wie kann eine Untersuchung am Patienten, an der Patientin erfolgen, wenn die Radiologiefachperson (RFP) nicht vor Ort ist? Wir, Michèle Bosshard und Yannick Bislin, Teamleiter:innen Radiologie, geben Einblick in das Projekt, das 2023 in Zusammenarbeit mit Siemens Healthineers Schweiz gestartet wurde.

Weshalb syngo Virtual Cockpit (sVC)?
Der akute Fachkräftemangel an Radiologiefachpersonen und die fast gleichzeitige Eröffnung von zwei neuen Standorten (Radiologie am ASANA Spital Leuggern und der ambulante Standort KSB City in der Innenstadt von Baden) war Auslöser für die Suche nach innovativen Lösungen. Das Ziel: vorhandene Ressourcen effizienter einsetzen, ohne Stellen abzubauen. Stattdessen soll mit gleichbleibendem Personalbestand eine breitere Versorgung ermöglicht werden.

Das Projekt begann mit zwei MRI-Geräten, heute sind vier von acht Scannern an den Standorten KSB City, Brugg, Leuggern und KSB Baden in das sVC eingebunden. Die Betreuung erfolgt durch zwei Radiologiefachpersonen sowie vier medizinische Praxisassistent:innen (MPA). In einer Testphase wurde auch das Remote Scanning von CT-Geräten am Standort Leuggern erprobt – stets mit einer Radiologiefachperson vor Ort zur Absicherung.

Technischer Aufbau
Das syngo Virtual Cockpit besteht aus zwei zentralen Komponenten:

  • Modality Client: Der Arbeitsplatz direkt am Scanner vor Ort. Ausgestattet mit zwei Kameras (zur Überwachung des Untersuchungsraums und der Injektorpumpe) sowie einem Chat-Tool für die Kommunikation mit dem sVC. Die/der MPA ermöglicht der Radiologiefachperson über Bildschirmfreigabe den Zugriff.
  • Steering Client: Der Fernarbeitsplatz der Radiologiefachperson im Cockpit. Von dort wird der Scan über drei Monitore und eine gesicherte spitalinterne Verbindung gesteuert.

Die Kommunikation erfolgt über Chat (mit standardisierten Kürzeln), Telefon oder Headset. Auch die Radiologin oder der Radiologe kann sich bei Spezialuntersuchungen auf den MRI-Scanner aufschalten und unterstützen (z. B. bei komplexen Kippungen der Sequenzen). Wichtig: Eine lokale Bedienung der Geräte vor Ort ist jederzeit weiterhin möglich.

Yannick Bislin, Teamleiter Radiologiefachpersonen am KSB City, bedient das syngo Virtual Cockpit (SVC) über drei Monitore, unmittelbar daneben ist seine Kollegin und Teamleiterin Michèle Bosshard im Einsatz.

Was verändert sich in der Praxis?
Für Patient:innen soll sich möglichst wenig ändern. Eine Ansprechperson – in der Regel ein:e MPA – ist stets vor Ort, begleitet den gesamten Untersuchungsprozess und kann sich ganz der Patientin oder dem Patienten widmen. Die technische Steuerung sowie die Bildanalyse übernimmt die Radiologiefachperson im Cockpit.

Grössere Anpassungen ergaben sich vor allem für unsere langjährigen und erfahrenen MPAs: Sie wurden auf neue Aufgaben vorbereitet, darunter die intravenöse Kontrastmittelgabe, die Organisation von Prämedikationen, das Erfassen von TARMED-Leistungen, die Aufklärung von Patient:innen und das Verhalten bei Komplikationen – stets in Rücksprache mit der Radiologiefachperson oder der Radiologin/dem Radiologen. An allen Standorten sind die ärztlichen Mitarbeiter:innen in unmittelbarer Nähe und können bei Bedarf sofort unterstützen.

Neue Rollen – neue Abläufe
Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Team vor Ort und dem syngo Virtual Cockpit erforderte zunächst eine Einführungsphase. Inzwischen haben sich bewährte Abläufe etabliert: Die/der MPA bereitet die Patientin oder den Patienten am Gerät vor, während die Radiologiefachperson bereits das passende Protokoll auswählt und allfällige Zusatzsequenzen ergänzt.

Ein zentraler Punkt ist die Kommunikation – insbesondere bei dynamischen Kontrastmittelgaben. Je nach Erfahrung kann die/der MPA diese unter Beobachtung der Radiologiefachperson selbstständig durchführen oder sich telefonisch begleiten lassen. Die Radiologiefachperson überwacht die Injektion über die Kameras, kommuniziert über Chat oder Telefon und steht jederzeit unterstützend zur Verfügung.

Das Gespräch mit den Patient:innen erfolgt ausschliesslich durch das Team vor Ort, da eine bidirektionale Audioverbindung aktuell noch nicht möglich ist.

Aufgaben im syngo Virtual Cockpit
Die Radiologiefachperson im syngo Virtual Cockpit übernimmt:

  • Auswahl und Anpassung der Untersuchungsprotokolle
  • Bildakquisition und Qualitätskontrolle
  • Visumprüfung und Leistungserfassung
  • Schulung neuer Mitarbeiter:innen im sVC

Zudem profitieren die Mitarbeiter:innen von praxisnahen Weiterbildungen durch Applikationsspezialist:innen von Siemens Healthineers Schweiz sowie von digitalen Lernangeboten über die Siemens Healthineers Academy-Plattform.

Vorteile auf einen Blick
Das sVC eröffnet neue Möglichkeiten in der radiologischen Bildgebung und schafft spürbare Entlastung im Alltag:

  • Effizienter Personaleinsatz: Vier MRI-Geräte können durch zwei Radiologiefachpersonen und vier MPAs bedient werden.
  • Homeoffice-fähig: Besonders geeignet für Mitarbeiter:innen mit speziellen Bedürfnissen, z. B. in der Schwangerschaft. Ab dem dritten Quartal 2025 soll der Betrieb auch im Homeoffice möglich sein.
  • Konzentriertes Arbeiten: Die Radiologiefachperson kann sich voll auf Bildqualität und Protokollierung konzentrieren, abseits des hektischen Klinikalltags.
  • Schulungsfreundliche Umgebung: Das ruhige Setting eignet sich optimal für Weiterbildungen und Protokollanpassungen. Auch ist es ideal, um Kolleginnen und Kollegen bei komplexen Untersuchungen vor Ort zu unterstützen. Künftig sollen auch die studierende Radiologiefachpersonen die Möglichkeit erhalten, ihre MRI-Kenntnisse nicht nur durch den Vor-Ort-Einsatz am MRI-Scanner, sondern zusätzlich auch mithilfe des sVC zu vertiefen.
  • Herstellerunabhängigkeit: Obwohl das sVC von Siemens Healthineers Schweiz betrieben wird, ist auch die Anbindung anderer MRI-Gerätehersteller möglich.

Herausforderungen und Grenzen
Die gleichzeitige Steuerung mehrerer Geräte mit komplexen Protokollen erfordert hohe Konzentration und Erfahrung. Nicht jede Fachperson fühlt sich in der eher abgeschotteten Umgebung des sVC wohl – einige vermissen den direkten Kontakt mit Patient:innen. Um dem entgegenzuwirken, setzt das KSB auf ein Rotationsmodell mit neun freiwilligen Mitarbeiter:innen, die im Wechsel vor Ort und im sVC arbeiten.

Auch die MPAs vor Ort tragen mehr Verantwortung, treffen vermehrt eigenständige Entscheidungen und benötigen dafür einen starken Teamrückhalt.

Einsatzgrenzen des syngo Virtual Cockpits

  • Nur im Tagesbetrieb: Derzeit wird das sVC ausschliesslich tagsüber genutzt, da in den Dienstzeiten mit reduziertem Personal (eine Radiologiefachperson vor Ort) gearbeitet wird.
  • Nicht bei allen Patientengruppen: Kinder unter sechs Jahren oder Patient:innen mit stark eingeschränkter Mobilität werden vorwiegend durch Radiologiefachpersonen vor Ort untersucht.
  • Komplexe Untersuchungen: Da Herz-MRIs besondere Aufmerksamkeit verlangen, empfiehlt es sich, am parallel gesteuerten Scanner Standarduntersuchungen einzuplanen.

Wichtig: Das sVC verkürzt in der Regel keine Untersuchungszeiten, sondern optimiert die Nutzung und Koordination von Fachkompetenzen.

Was passiert bei technischen Ausfällen?
Obwohl Verbindungsprobleme selten sind, muss ein klar geregeltes Ausfallkonzept bestehen. Im Störungsfall übernimmt das Team vor Ort aus einem anderen Bereich (z. B. CT) die Gerätebedienung. Die ICT wird informiert und kann im Hintergrund die Verbindung wiederherstellen. Parallel kann die Radiologiefachperson im Cockpit das zweite Gerät an einem anderen Standort bedienen.

Verlieren wir durch das sVC den Kontakt zu Patient:innen?
Diese Frage wird intern oft diskutiert. Das syngo Virtual Cockpit ist in erster Linie eine Antwort auf den Fachkräftemangel. Es ermöglicht, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, auch bei begrenzten personellen Ressourcen.

Ein vollständiger Einsatz im sVC ist im KSB nicht vorgesehen. Vielmehr soll die Tätigkeit im Cockpit Teil eines vielfältigen Arbeitsalltags sein. Das sVC erweitert die Kompetenzen der Radiologiefachpersonen, ohne die klassische Arbeit am Scanner zu ersetzen. Die Möglichkeit einer Homeoffice-Tätigkeit entspricht dem steigenden Bedürfnis nach Flexibilität in der heutigen Arbeitswelt.

Der Einsatz im syngo Virtual Cockpit ist freiwillig am KSB. Viele erfahrene Fachpersonen schätzen die ruhige Arbeitsatmosphäre und sehen darin eine sinnvolle Ergänzung zu ihrer Tätigkeit im direkten Patient:innenkontakt.

Fazit
Das syngo Virtual Cockpit am KSB ist eine zukunftsorientierte Antwort auf die Herausforderungen im Gesundheitswesen. Es ermöglicht eine effizientere Ressourcennutzung, wahrt die Versorgungsqualität und eröffnet neue Perspektiven für moderne Arbeitsmodelle. Mit sorgfältiger Planung, guter Kommunikation und klaren Strukturen kann Fernsteuerung in der Radiologie gelingen, ohne den Menschen aus dem Blick zu verlieren.

Und wer weiss: Vielleicht wird das Homeoffice auf den Malediven eines Tages tatsächlich Realität.

Weitere Informationen finden Sie im Video des Kantonsspitals Baden:

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Quelle Vorschaubild: Siemens Healthineers Schweiz

Kontakt:
Alexander Peters
Co-Leitender Radiologiefachmann
Departement Medizinische Dienste
Kantonsspital Baden
Im Ergel 1, 5404 Baden
alexander.peters@ksb.ch

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